UN-Fachausschuss rügt finnische Behörden wegen Verweigerung Persönlicher Assistenz
Übersetzung eines Berichts des European Network of Independent Living (ENIL) vom 01.06.2022.
In einer wichtigen Entscheidung hob der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen die Entscheidung der finnischen Behörden auf, einer behinderten Person Persönliche Assistenz vorzuenthalten. Finnland erhielt die Empfehlung, den Antrag auf Persönliche Assistenz zu überdenken, eine Entschädigung zu zahlen und seine Rechtsvorschriften zu ändern.
Die Entscheidung gegen die finnischen Behörden beruht auf der Individualbeschwerde einer behinderten Person, die sich diskriminiert fühlte. Der Fall begann im Januar 2014, als der Beschwerdeführer, der eine körperliche und eine geistige Behinderung hat, eine Wohnung anmietete, um selbstbestimmt und allein zu leben. Um selbstbestimmt leben zu können, war Persönliche Assistenz erforderlich. Der Beschwerdeführer beantragte 140 Stunden Persönliche Assistenz pro Woche bei der zuständigen Gemeindebehörde. Die Gemeindebehörde ist nach finnischem Recht dafür zuständig, entweder eine Kostenerstattung oder einen Dienstleistungsgutschein zu gewähren oder den Kauf einer Dienstleistung bei einem Anbieter zu organisieren.
Odyssee auf dem Weg durch das finnische Rechtssystem
Mehr als ein Jahr später, im Oktober 2015, beschloss die Gemeindebehörde, der behinderten Person 60 Stunden Persönliche Assistenz pro Woche zu gewähren, und zwar ausschließlich für die Nutzung außerhalb des Hauses. Der Antrag auf einen Persönlichen Assistenten zur Unterstützung der Person innerhalb der Wohnung wurde abgelehnt.
Wie begründete die Behörde diese Entscheidung? In Finnland wird die Bereitstellung von Persönlicher Assistenz durch das so genannte Behindertenhilfegesetz (DSA) geregelt, das zuletzt im Jahr 2009 reformiert wurde. Nach diesem Gesetz müssen behinderte Menschen über die Mittel verfügen, um den Inhalt und die Bedingungen der Umsetzung ihrer Persönlichen Assistenz selbst zu bestimmen. Das Kriterium der eigenen Mittel ist definiert als die Fähigkeit, den Inhalt der Persönlichen Assistenz selbst zu bestimmen.
Die behinderte Person akzeptierte die Entscheidung nicht und beschloss, gegen das Ergebnis Berufung einzulegen. Der Fall nahm den Weg durch Ausschüsse und Gerichte. Jedes Mal, wenn die ursprüngliche Entscheidung der Gemeindebehörde bestätigt wurde, wurde der Einspruch der Beschwerdeführer zurückgewiesen. Eineinhalb Jahre später beschloss der oberste finnische Gerichtshof, die Klage der behinderten Person endgültig abzuweisen.
Begründungen für die Verweigerung der Persönlichen Assistenz
Mit jeder Ablehnung der Beschwerde bekräftigte die finnische Justiz die Bestimmungen des DSA, wonach eine behinderte Person über die Mittel verfügen muss, um den Inhalt der Unterstützung und die Art und Weise ihrer Umsetzung zu bestimmen. Nach Ansicht der verschiedenen beteiligten Richter sind Menschen mit Behinderungen, die dieses Kriterium nach Einschätzung Dritter nicht erfüllen können, von der Persönlichen Assistenz ausgeschlossen. In den meisten Fällen, so die Argumentation weiter, liege der Assistenzbedarf in der Pflege, Behandlung und Überwachung. Zur Begründung der Entscheidung im konkreten Fall zitierten die Gerichte ein medizinisches Gutachten über den Beschwerdeführer, wonach dieser nicht in der Lage sei, Inhalt und Bedingungen der Assistenz zu bestimmen.
Konsequenzen
Die von dieser Entscheidung betroffene Person kann nicht in einer Wohngruppe untergebracht werden, da dies seiner Gesundheit abträglich wäre. Die Entscheidungen der finnischen Behörden hätten viele Menschen am selben Ort dazu gezwungen, trotzdem in eine Einrichtung zu ziehen. In diesem Fall musste die Person zurück zu ihren Eltern ziehen. Die Einweisung in eine Einrichtung konnte zwar vermieden werden, aber die Pläne für ein selbstbestimmtes Leben wurden durchkreuzt.
Beschwerdeverfahren beim UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen
Nachdem alle Rechtsmittel im nationalen Kontext ausgeschöpft waren, beschloss die behinderte Person, den Fall dem UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu unterbreiten. Der UN-Fachausschuss ist ein UN-Gremium, das mit der Überwachung der Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UNBRK) beauftragt ist.
In seiner Beschwerde an den UN-Fachausschuss machte die Person geltend, dass die finnischen Behörden gegen seine Rechte aus Artikel 19 und Artikel 5 der UN-Behindertenrechtskonvention sowie gegen die Allgemeine Bemerkung Nr. 5 verstoßen hätten. Ohne einen Persönlichen Assistenten ist er vollständig von der Unterstützung durch seine Eltern abhängig, da dies die einzige Möglichkeit ist, eine Heimunterbringung zu vermeiden. Sollten die Eltern nicht mehr in der Lage sein, Unterstützung zu leisten, wäre eine Heimunterbringung unvermeidlich. Infolgedessen wurde sein Recht auf persönliche Entscheidung und Kontrolle über sein Leben verletzt. Die Verletzung von Artikel 5, dem Grundsatz der Gleichheit und Nichtdiskriminierung, erfolgte aufgrund der im DSA kodifizierten Mittelkriterien. Aufgrund dieser Regelung seien der Beschwerdeführer selbst, aber auch kognitiv beeinträchtigte Menschen im Allgemeinen, gegenüber anderen behinderten Menschen benachteiligt.
Die Entscheidung des UN-Fachausschusses
Nachdem die Beschwerde im Februar 2018 eingegangen war, veröffentlichte der Ausschuss sein Urteil im März 2022. Drei Elemente der Entscheidung sollten hervorgehoben werden:
- Der UN-Fachausschuss stellte fest, dass die Verweigerung von häuslicher Persönlicher Assistenz aufgrund der Unfähigkeit zu wählen ein ableistisches Argument ist, das das Menschenrechtsmodell von Behinderung ablehnt.
- Der Ausschuss entschied, dass eine Verletzung der Rechte des Beschwerdeführers gemäß Artikel 19 (b) der Konvention stattgefunden hat. Die Ablehnung der Persönlichen Assistenz habe der behinderten Person die Unterstützung für ein selbstbestimmtes Leben und die Eingliederung in die Gemeinschaft vorenthalten. Außerdem sei es dem Vertragsstaat nicht gelungen zu erklären, warum der Beschwerdeführer die Möglichkeit habe, die Durchführung seiner Persönlichen Assistenz für außerhäusliche Aktivitäten zu bestimmen, nicht aber die Unterstützung im Haus.
- Das Ressourcenkriterium des DSA habe den Beschwerdeführer als Person unverhältnismäßig beeinträchtigt und damit zu einer mittelbaren Diskriminierung geführt, die in Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 UNBRK kodifiziert sei. Das Ressourcenkriterium habe nicht nur die Rechte des Beschwerdeführers in diesem speziellen Fall verletzt, sondern stelle auch eine Form der mittelbaren Diskriminierung von Menschen mit geistigen Behinderungen im Allgemeinen dar.
- Der Vertragsstaat, in diesem Fall Finnland, habe seine Verpflichtungen aus den Artikeln 19 und 5 (1), (2) UNBRK nicht erfüllt.
Um Finnland bei der Bewältigung des Problems zu unterstützen, sprach der Ausschuss folgende Empfehlungen aus:
- Die finnischen Behörden sollten den Antrag der behinderten Person auf Persönliche Assistenz erneut prüfen und so die prekäre Situation, in der sich die Person seit 2014 befindet, beheben.
- Für die Kosten, die durch das Beschwerdeverfahren entstanden sind, soll eine Entschädigung gezahlt werden.
- Finnland sollte Maßnahmen ergreifen, um ähnliche Verstöße in Zukunft zu verhindern, indem es sicherstellt, dass die Anwendung von Rechtsvorschriften frei von mittelbarer Diskriminierung ist.
- Das Behindertengesetz sollte geändert werden, um sicherzustellen, dass das Ressourcenkriterium keine Barriere für Menschen mit Behinderungen jeglicher Art darstellt.
Der UN-Fachausschuss fordert den Vertragsstaat auf, innerhalb von sechs Monaten eine schriftliche Antwort mit Maßnahmen vorzulegen, die im Lichte der vorliegenden Ansichten und Empfehlungen getroffen wurden.
Lesen Sie die vollständige Entscheidung des UN-Fachausschusses hier (Englisch).
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