Triage: Schutz vor Diskriminierung darf kein Flickenteppich werden!
Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 4.11.2025 geht der gesetzgeberische Auftrag, menschenrechtsorientierte Regelungen für Triage-Situationen zu schaffen, an die Länder über. Das Bochumer Zentrum für Disability Studies (BODYS) sieht in dem Urteil Risiko und Chance zugleich.
Triage bedeutet, dass in Zeiten knapper medizinischer Ressourcen, etwa in Pandemie-Situationen, medizinisches Personal Entscheidungen über die (Weiter-)Behandlung von Patient*innen treffen muss. Dabei kann es aufgrund von Vorurteilen und Stigmatisierungen zu Diskriminierungen von Menschen kommen, denen z.B. aufgrund von Behinderung, Vorerkrankung oder Alter eine geringere Lebenserwartung zugeschrieben wird. Um das zu verhindern, wurde die Bundesregierung zur Schaffung einer rechtlichen Regelung verpflichtet (BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 2021 - 1 BvR 1541/20), die das 2. Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes vom 10.11.2022 umsetzen sollte. Das Gesetz blieb jedoch weit hinter den Anforderungen an Diskriminierungsschutz und den Forderungen behinderter Menschen zurück (siehe BODYS-Meldung Triage-Gesetz bleibt Selektionsgesetz vom 14.11.2022).
Das nun ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichts greift eine Klage der Vertreter*innen der Ärzteschaft auf, wonach die Regelung des Bundes unzulässigerweise in die Berufsfreiheit der Ärzt*innen eingreife. Das Bundesverfassungsgericht gibt der Klage statt, aber nur insofern, als es feststellt, dass die gesetzgeberische Kompetenz gar nicht beim Bund, sondern bei den Ländern liege. Das bedeutet, das Bundesgesetz ist hinfällig und die Bundesländer müssen unverzüglich menschenrechtskonforme Triage-Regelungen in ihre Gesetzgebung aufnehmen.
Zu befürchten ist allerdings, dass nun ein „Flickenteppich“ von Regelungen entsteht, der zu Unübersichtlichkeit und Verunsicherung in der Praxis führt und damit den Schutz vor Diskriminierung behinderter, vorerkrankter und älterer Menschen gefährdet. BODYS fordert daher gemeinsam mit dem Runden Tisch Triage und dem Deutschen Institut für Menschenrechte einheitliche, diskriminierungsfreie Triage-Regelungen auf Landesebene zu schaffen, die nicht hinter den Stand des Infektionsschutzgesetzes (Verhinderung von Ex-Post-Triage) zurückbleiben und die verfassungsrechtlichen Anforderungen umsetzen. Es ist daran zu erinnern, dass auch die Bundesländer an die Empfehlungen des Fachausschusses der Vereinten Nationen zur Behindertenrechtskonvention gebunden sind. Der Ausschuss forderte 2023, unter Beteiligung der Selbstvertretungsorganisationen behinderter Menschen Regelungen für einen effektiven Schutz vor indirekten und direkten Diskriminierungen in Triage-Situationen zu schaffen.
Genau darin – in der Aufgabe für die Länder – sieht BODYS auch eine Chance: für diskriminierungsfreie Triage-Regeln, die dem neoliberalistischen Diktum von „Survival of the fittest“ eine deutliche Absage erteilen.
Kontakt (v.i.S.d.P.): Prof. Dr. Kathrin Römisch (BODYS-Leitung), bodys@evh-bochum.de, Tel: 0234-36901-257

