Stellungnahme zur Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes

Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Behindertengleichstellungsgesetzes (Stand 19.11.2025)  

Das Bochumer Zentrum für Disability Studies (BODYS) wurde im Juni 2015 gegründet und ist eine Forschungseinrichtung der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe. BODYS ist ein Institut, das Disability Studies als inter-, multi- und transdisziplinäre theoretische Grundlage für die UN Behindertenrechtskonvention (UN BRK) versteht. Ihre Implikationen für Theorie und Praxis, für die Behindertenhilfe und für die Gesellschaft insgesamt sind zentraler Forschungsgegenstand. BODYS bietet den Rahmen für menschenrechtsorientierte, partizipative und internationale Forschung und Lehre.

Grundsätzlich begrüßt BODYS eine Novellierung des Behindertengleichstellungsgesetzes und sieht darin die Möglichkeit, die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu verbessern und Verpflichtungen aus der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) umzusetzen.

In der Zielsetzung des Entwurfes wird richtigerweise ausgeführt, dass Barrierefreiheit grundlegende Voraussetzung für gleichberechtigte und gemeinschaftliche Teilhabe in allen Lebensbereichen sei und Deutschland seit 2009 durch die UN-BRK verpflichtet sei, die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen sicherzustellen. Insofern ist es zu begrüßen, dass im Gesetzesentwurf in § 3 BGG der Begriff der „gleichberechtigten Teilhabe“ an den Wortlaut der UN-BRK angepasst wird und die Wörter „volle und wirksame“ ergänzt werden.

Dennoch bleibt der vorgelegte Entwurf in zentralen Aspekten weit hinter den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention zurück. Wir fordern daher einen Gesetzesentwurf, der die Maßgaben der UN-BRK insbesondere im Hinblick auf Barrierefreiheit und wirksamen Diskriminierungsschutz auch gegenüber privaten Akteuren umsetzt. Hinsichtlich dieser und weiterer Regelungen empfehlen wir dringend eine Überarbeitung des vorgelegten Entwurfs im Einklang mit der UN-BRK.

Ausführungen zu ausgewählten Änderungsvorschlägen im Entwurf

§ 7 BGG

Das Benachteiligungsverbot soll auch für private Unternehmen gelten. Seit Langem von der Zivilgesellschaft gefordert und in der BGG-Evaluation im Jahr 2022 empfohlen sind gesetzliche Reformen, die dazu führen, dass „Barrierefreiheit und Diskriminierungsschutz gegenüber Privaten den Vorgaben der UN-BRK entsprechen“ (BT-Drucksache: 20/4440, S. 383). Jedoch werden die Unternehmen im vorliegenden Entwurf nicht hinreichend verpflichtet.

Gem. § 7 Abs. 2 des Entwurfes darf ein „Unternehmer, der der Öffentlichkeit zur Verfügung stehende bewegliche Güter anbietet oder Dienst- oder Werkleistungen anbietet oder erbringt, Menschen mit Behinderungen bei dem Zugang zu und der Versorgung mit diesen Gütern und Dienstleistungen nicht benachteiligen.“

  • Die Einschränkung des Wortlauts in § 7 Abs. 2 des Entwurfes beschränkt sich auf „bewegliche Güter“ sowie „Dienst- und Werkleistungen“ und bleibt damit hinter den Forderungen des Art. 9 UN-BRK zurück, der eine umfassende Berücksichtigung von Aspekten der Zugänglichkeit fordert. Gem. Art. 9 UN-BRK sollen private Rechtsträger, die Einrichtungen und Dienste, die der Öffentlichkeit offenstehen oder für sie bereitgestellt werden, anbieten, alle Aspekte der Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen berücksichtigen.
  • Auch der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen forderte im Oktober 2023 in seinen Abschließenden Bemerkungen zum zweiten und dritten Staatenbericht Deutschlands den „gesetzlichen Schutz vor Diskriminierung und der spezifischen Rechte aus dem Übereinkommen auf alle privaten Stellen, die Güter und Dienstleistungen für die Allgemeinheit anbieten, zu erweitern und wirksame Rechtsbehelfe zur Durchsetzung der entsprechenden Verpflichtungen bereitzustellen“ (CRPD/C/DEU/CO/2-3, Nr. 12 a)). Diese Forderung des UN-BRK-Fachausschusses setzt der jetzige Gesetzesentwurf noch nicht um.
  • 7 Abs. 3 Nr. 3 S. 2 des Gesetzesentwurfes enthält folgende einschränkende Formulierung: „Für Unternehmen im Sinne des Absatzes 2 gelten alle bauliche Veränderungen sowie Änderungen an Gütern und Dienstleistungen als unverhältnismäßige und unbillige Belastung.“
  • Eine pauschale Annahme, dass alle baulichen Veränderungen sowie Änderungen an Gütern und Dienstleistungen eine unverhältnismäßige und unbillige Belastung darstellen, kann dazu führen, dass selbst kostengünstige, kleine Änderungen, die Zugänglichkeit ermöglichen, nicht umgesetzt werden, da sich die Unternehmen nicht dazu verpflichtet sehen. Ferner kann es auch zu Rechtsunsicherheiten kommen im Hinblick auf die Überschneidung mit anderen Spezialgesetzen, die bereits jetzt eine Verpflichtung zur Barrierefreiheit enthalten. Die pauschale Annahme einer „unverhältnismäßigen und unbilligen Belastung“ entspricht nicht den Vorgaben der UN-BRK sowie den verfassungsrechtlichen Wertungen insbesondere des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG.
  • Schwerwiegender noch sind die dogmatischen Auswirkungen dieser Pflichtbegrenzung. Diese Einschränkung ist nicht mit der dogmatischen Figur der angemessenen Vorkehrungen im Antidiskriminierungsrecht vereinbar. Denn es ist ein Wesensmerkmal dieser Figur, dass die Feststellung der Belastungsgrenze im Einzelfall und konkret erfolgen muss. Die Unverhältnismäßigkeit und Unbilligkeit für alle baulichen Maßnahmen in der Privatwirtschaft gesetzlich festzuschreiben, widerspricht daher der Dogmatik dieser Figur. Im Unterschied zur Barrierefreiheit ist die angemessene Vorkehrung nämlich nicht gruppenbezogen, sondern individualbezogen. Sie macht als Antidiskriminierungspflicht nur Sinn, wenn sie im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Einbezug der Beteiligten ausgehandelt wird. Dazu hat sich der UN-BRK-Fachausschuss zuletzt ausführlich in seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 6 zu Art. 5 UN-BRK (Gleichheit und Nichtdiskriminierung) entsprechend geäußert (siehe CRPD/C/GC/6, Nr. 17ff.).

Positiv ist hervorzuheben, dass der Gesetzesentwurf in § 7 Abs. 5 vorsieht, dass eine öffentliche Stelle des Bundes nach § 12, nun spezialgesetzlich dazu verpflichtet wird, den durch die Benachteiligung entstandenen Schaden zu ersetzen und auch Nicht- Vermögensschäden umfasst sind.

  • Jedoch wird der Schadensersatzanspruch gegen private Unternehmen ausgeschlossen (§ 7 Abs. 5). Es ist nicht ersichtlich, warum private Unternehmen pauschal von der Schadensersatzpflicht ausgeschlossen werden sollen und dadurch der Rechtsschutz der Betroffenen erheblich eingeschränkt wird.

Weiter enthält der Gesetzesentwurf in § 7a Abs. 2 folgende Regelung: „In Fällen des § 7 Absatz 2 ist eine Verletzung des Benachteiligungsverbots nach § 7 Absatz 3 Nummer 1 nicht gegeben, wenn für die unterschiedliche Behandlung ein sachlicher Grund vorliegt.“

  • Diese Ausnahmeregelung schwächt den Anspruch unverhältnismäßig ab, da keine Anforderungen an den „sachlichen Grund“ genannt werden. Jeder vernünftige Grund kann als „sachlich“ eingestuft werden und dies würde den Anspruch der Betroffenen unter das verfassungsrechtlich zulässige Maß abschwächen.

Der unterschiedliche Prüfungsmaßstab für Bundesträger der öffentlichen Gewalt (zwingende Gründe) und Akteure der Privatwirtschaft (sachliche Gründe) demonstriert unzweifelhaft, dass die Inpflichtnahme der Privatwirtschaft im BGG weniger weitreichend konzipiert und bewusst eingeschränkt wird.

  • Bereits auf der Tatbestandsebene dürfen sich Private mehr Diskriminierung erlauben als Träger öffentlicher Gewalt, weil ihnen mehr Rechtfertigungsgründe zugestanden werden und angemessene Vorkehrungen nur unter der Bedingung gewährt werden müssen, wenn mit ihnen keine baulichen Veränderungen vorgenommen werden.
  • Diese abgeschwächte Inpflichtnahme setzt sich sodann auf der Rechtsfolgenseite fort, denn gegenüber Privaten haben Verletzte keinen Anspruch auf Schadensersatz (§ 7 Abs. 5 BGG-Entwurf).
  • Bei der Verletzung von Barrierefreiheitspflichten entfallen zudem auch die Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche (§ 7 Abs. 6 BGG Entwurf).

 

§ 8 BGG

Im Hinblick auf Barrierefreiheit regelt § 8 Abs.1 des Entwurfs, dass Bauaufgaben des Bundes barrierefrei gestaltet werden. Gem. § 8 Abs. 2 des Entwurfes sollen bauliche Barrieren bis 2035 abgebaut werden. Bis 2045 sind die Barrieren abzubauen.

  • Grundsätzlich ist zwar zu begrüßen, dass eine Verpflichtung zum Abbau von Barrieren im Gesetz verankert wird. Jedoch ist der Zeitraum von 20 Jahren zu lang und stellt bis dahin eine enorme Einschränkung für die Betroffenen dar.

 

§ 11 BGG

  • 11 Abs. 1 des Gesetzesentwurfes enthält weiterhin eine „Soll“-Regelung im Hinblick auf die Zurverfügungstellung von Dokumenten in Leichter Sprache.
  • Die BGG-Evaluation hat bereits im Jahr 2022 empfohlen daraus „Muss- Vorschriften“ zu machen, um eine Umsetzung des Rechts auf barrierefreie Kommunikation in der Praxis zu gewährleisten (siehe BT-Drs. 20/4440, S. 42/43).

Zu begrüßen ist, dass gem. § 11 Abs. 3 des Entwurfes der Träger öffentlicher Gewalt einen Menschen „mit geistigen oder seelischen Behinderungen“ auf seine Rechte in einfacher Sprache zu kommunizieren und Dokumente im Verwaltungsverfahren in Leichter Sprache zu erhalten, hinweisen muss, wenn er Kenntnis vom Vorliegen einer solchen Beeinträchtigung hat.

  • Bedenklich ist jedoch die fortgesetzte Bezeichnung von Menschen mit intellektuellen und psycho-sozialen Beeinträchtigungen als Menschen mit „geistiger und seelischer Behinderung“. Der UN-BRK-Fachausschuss hat mehrfach auf die Notwendigkeit hingewiesen, stigmatisierende Redewendungen abzuschaffen. Die Bezeichnungen „geistige und seelische Behinderungen“ sind stigmatisierend und werden heute im Menschenrechtskontext nicht mehr benutzt.
  • Es ist an der Zeit, dass diese Bezeichnungen auch aus der deutschen Gesetzessprache verschwinden. Mit der BGG-Reform könnte ein Anfang gemacht werden.

 

§ 13 BGG

Die Bundesfachstelle für Barrierefreiheit wird gestärkt und ist für die Beratung auch von Unternehmen zuständig. Positiv ist, dass bei der Bundesfachstelle für Barrierefreiheit ein Bundeskompetenzzentrum für Deutsche Gebärdensprache und Leichte Sprache eingerichtet werden soll.

  • Der neue Aufgabenzuschnitt erfordert allerdings auch eine angemessene finanzielle und personelle Ausstattung, die gewährleistet werden sollte.
  • Dies gilt auch für die finanzielle und personelle Ausstattung der Schlichtungsstelle.

 

§ 18 BGG

Ein wichtiges Signal ist, dass das Amt einer Beauftragten und eines Beauftragten von Menschen mit Behinderungen gestärkt werden soll und im Entwurf aufgenommen wurde, dass „die beauftragte Person unabhängig, weisungsungebunden und ressortübergreifend tätig ist.“

Fazit

Der bisherige Entwurf verfolgt grundsätzlich anerkennenswerte Ziele, bleibt jedoch in zentralen Aspekten weit hinter den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention zurück. Insbesondere betrifft dies die Verpflichtung privater Unternehmen, Maßnahmen zur Barrierefreiheit zu ergreifen und einen wirksamen Diskriminierungsschutz sicherzustellen. Viele weitere Forderungen aus der BGG-Evaluation aus dem Jahr 2022 sind nicht im Entwurf enthalten, unter anderem

  • die Stärkung des Verbandsklagerechts,
  • die Stärkung der Rechte von Personen mit mehrdimensionalen Diskriminierungserfahrungen oder
  • eine Vereinfachung des Verfahrens zur finanziellen Förderung der Partizipation (§19 BBG).

Damit wird eine Chance verpasst, die Rechte aus der UN-BRK umzusetzen.

Eine Überarbeitung des Gesetzesentwurfes unter Berücksichtigung der oben genannten Aspekte und der Vorgaben der UN-BRK sowie der Empfehlungen des UN-Fachausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen wird dringend empfohlen, um das Ziel der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen tatsächlich zu erreichen.

Bochum, 08.12.2025

Gez. Prof. Dr. Kathrin Römisch (Leitung) und Karoline Riegel, Ass.iur.

 

Weiterführende Informationen

Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Behindertengleichstellungsgesetzes

Informationen des BMAS zum Verfahren der Gesetzgebung: https://www.bmas.de/DE/Service/Gesetze-und-Gesetzesvorhaben/gesetzes-zur-aenderung-des-behindertengleichstellungsgesetzes.html

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