Nichts über uns ohne uns! – Ableismus in Politik und Medizin bekämpfen

Was sind ableistische Praktiken und Denkmuster? Wie wirken sie sich in der medizinischen und wissenschaftlichen Praxis aus? Und was können bzw. sollen Politik und Gesetzgebung tun, um Ableismus wirkungsvoll zu bekämpfen? Antworten auf diese Fragen gibt ein thematischer Bericht der Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Das Bochumer Zentrum für Disability Studies legt den Bericht nun in deutscher Übersetzung vor – als Beitrag zur Diskussion und Bewusstseinsbildung zum Thema Ableismus: Disability Studies Review 6: Auswirkungen von Ableismus in der medizinischen und wissenschaftlichen Praxis

Behinderungsbewusste Bioethik, menschenrechtsbasierte Politik

Dass die Auseinandersetzung mit Ableismus auf gesamtgesellschaftlicher Ebene dringend nötig ist, zeigen die aktuelle Debatte um die Triage ebenso wie die ausstehende Gesetzesänderung zur Sterbehilfe. Ethische Debatten um sensible Themen wie pränatales Screening, Genom-Editierung, Vorenthaltung oder Abbruch lebenserhaltender Behandlungen und Sterbehilfe werden oft an Menschen mit Behinderungen und ihren Rechten und Belangen vorbei gedacht und geführt.

Grund dafür sind tiefverwurzelte ableistische Denkmuster, die den Wert eines Lebens und die Lebensqualität entlang strikter Normen für Aussehen, Funktionsfähigkeit und Verhalten von Menschen bemessen. In der Logik des Ableismus legitimiert ein Abweichen von der Norm das Vorenthalten von Rechten, schafft die Grundlagen für Segregation und Institutionalisierung und für solche medizinische Maßnahmen, die Abweichungen verhindern bzw. auf „Normalisierung“ abzielen.

Im Bericht der UN-Sonderberichterstatterin wird nachvollziehbar, wie Ableismus im Spannungsfeld von medizinischem Fortschritt und den Bedürfnissen und Rechten von Menschen mit Behinderungen wirkt. Der Bericht vermittelt außerdem eine Vorstellung davon, was es bedeutet, medizinische Angebote nicht-ableistisch zu gestalten oder bioethische Debatten menschenrechtsorientiert und behinderungsbewusst zu führen. Dargelegt wird auch, was dies von gesetzgeberischer Seite verlangt. Grundlage hierfür ist das menschenrechtliche Modell von Behinderung, wie es in der UN-Behindertenrechtskonvention seinen Ausdruck findet.

Perspektivwechsel durch Partizipation

Dazu steht im Bericht: Es ist „von entscheidender Bedeutung, dass sich die Sicht der Gesellschaft auf Behinderung an die Narrative der Menschen annähert, die tatsächlich mit einer Behinderung leben. Die Abwertung des Lebens von Menschen mit Behinderungen ist zum Teil auf die historische Unfähigkeit zurückzuführen, zuzuhören, was Menschen mit Behinderungen über sich selbst zu sagen haben.“

Und so ist – besonders in Hinsicht auf das Gesetzgebungsverfahren, mit dem die Bundesregierung die Triage-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts umsetzen soll – dies wohl die dringlichste Aufforderung der UN-Sonderberichterstatterin: die aktive Einbeziehung und Konsultation von Menschen mit Behinderungen und der sie vertretenden Organisationen!

 

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