Konferenz-Bericht: Sozialer Zusammenhalt durch Inklusion
Sozialer Zusammenhalt durch Inklusion: die Zukunft der Teilhabe behinderter Menschen aus Perspektive der Disability Studies
Wenn Zugehörigkeit und Solidarität das Lebensgefühl von Menschen prägen, spricht das für sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft. Aktuell scheint dieser Zusammenhalt jedoch eher zu schwinden als zuzunehmen. Gefühle von Verunsicherung, Einsamkeit, Angst vor sozialem Abstieg und Statusverlust machen sich breit und werden (nicht nur) von rechtspopulistischen Stimmen genährt. Was also tun in solchen Zeiten, was stärkt sozialen Zusammenhalt und was können die Disability Studies dazu beitragen?
Anlässlich seines 10-jährigen Bestehens veranstaltete das Bochumer Zentrum für Disability Studies (BODYS) am 13.11.2025 die Konferenz „Sozialer Zusammenhalt durch Inklusion: die Zukunft der Teilhabe behinderter Menschen aus Perspektive der Disability Studies“ / “Social cohesion through inclusion: the future of participation of people with disabilities from the perspective of Disability Studies”. Die Veranstaltung fand in Zusammenarbeit mit dem internationalen Studienprogramm „DISCO - Diversity and Inclusion for Social Cohesion“ der EvH Bochum und in englischer Sprache statt.
Es sprachen drei Vertreterinnen der Disability Studies: Prof. i.R. Dr. Theresia Degener, Prof. Dr. Rebecca Maskos (ASH Berlin) und Prof. Dr. Kathrin Römisch (BODYS/EvH Bochum). In ihren Beiträgen untersuchten sie die Bedeutung von Inklusion für den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und die Frage, welchen Beitrag die Disability Studies für den sozialen Zusammenhalt leisten können.
Kann Recht den sozialen Zusammenhalt stärken?
Den Hauptvortrag hielt Prof. i.R. Dr. Theresia Degener, Mitgründerin und langjährige Leiterin von BODYS. Unter der Überschrifthrem "Social cohesion through inclusion from the perspective of legal disability studies" betrachtet Degener Inklusion als Mittel für sozialen Zusammenhalt aus Perspektive der Legal Disability Studies, also aus einer rechtswissenschaftlichen Sicht. Wenn man Inklusion als das Bekämpfen von Diskriminierung und das Ermöglichen von Partizipation verstehe, komme dem Recht, insbesondere den Menschenrechten in der (nationalen) Gesetzgebung, eine wesentliche Rolle zu, um den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft zu fördern. Dabei, so räumt Degener unter Verweis auf historische und zeitgenössische Diskurse der (Menschen-)Rechtskritik ein, habe Recht durchaus paradoxe Auswirkungen. So könne Recht sowohl Dominanzkulturen legitimieren und damit (re-)produzieren als auch soziale Inklusion befördern. Diese Funktion von Recht haben soziale Bewegungen wie die Behindertenrechtsbewegung der 1960er Jahre als wichtiges Werkzeug der Emanzipation erkannt und eingesetzt. Ein Höhepunkt dieses Prozesses war sicherlich die Verabschiedung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) im Jahr 2006, an deren Entstehung behinderte Menschen wesentlich beteiligt waren.
Im zweiten Teil ihrer Ausführungen zeigte Degener, wie aus der Kooperation von kritischen Rechtswissenschaften (und -praxis) und Disability Studies der noch junge Forschungszweig der Legal Disability Studies (LDS) entstanden ist, und skizziert Anliegen und Forschungsparadigma der LDS. Diese untersuchen die Rolle des Rechts bei der Konstruktion von Behinderung. Wenn etwa Behindertenrecht ausschließlich im Sozialrecht geregelt wird, verweist und verankert dies das medizinische Modell von Behinderung, wonach Behinderung individualisiert und mit Heilung und Fürsorge begegnet wird. Behinderung als soziales Konstrukt verlangt hingegen Anti-Diskriminierungsrechte und Rechte, die Barrierefreiheit der Umwelt und angemessene Vorkehrungen regeln. Der menschenrechtliche Ansatz macht es noch deutlicher: Menschenrechte dürfen niemals aufgrund einer Beeinträchtigung eingeschränkt oder verweigert werden.
Als zentrale Konzepte der LDS identifiziert Degener Ableism, inklusive Autonomie und inklusive Gleichheit. Während Ableism einen Diskriminierungsmechanismus vergleichbar etwa Rassismus bezeichnet, steht inklusive Autonomie für ein radikales Umdenken von Rechtsfähigkeit: Auch Menschen, die nicht den traditionellen Vorstellungen von Rationalität oder „Normalität“ entsprechen, haben ein Recht darauf, eigene Entscheidungen zu treffen (vgl. Art. 12 UN-BRK). Das Konzept der inklusiven Gleichheit geht über materielle und formale Gleichheit hinaus: Inklusive Gleichheit verlangt auch die Anerkennung von Vielfalt sowie die Bekämpfung von Stigmatisierung, Stereotypisierung und Gewalt aufgrund von Behinderung.
Welche Rolle nun kann Recht in Zeiten von De-Solidarisierung und Ent-Demokratisierung spielen, um sozialen Zusammenhalt zu fördern? Laut Degener ist es entscheidend, ob wir Recht an sich kritisieren und als nützliches Werkzeug für sozialen Zusammenhalt verwerfen oder ob wir Recht im Sinne der LDS als kritisches Werkzeug unserer Gesellschaft benutzen. Sie zitiert die feministische Rechtswissenschaftlerin Ratna Kapur: „We >cannot not want< human rights. Rights are radical tools for those who have never had them. […] Yet, it is also important to confront the >dark side< of this project.“ (Kapur 2006). Als dunkle Seite des Rechts sind zu sehen das Rechtssystem und die Institutionen (einschließlich der UNO), insofern diese auf Ideologien der Unterdrückung basieren. Doch Degener fordert auf, die „helle Seite“ nicht zu vergessen: „Das Recht (Menschenrechte) kann Freiheit, Gleichheit und Solidarität schaffen und stabilisieren und so den sozialen Zusammenhalt fördern.“
Ohne Individualisierung kein Ableism – und umgekehrt?
In ihrer Antwort auf Degeners Überlegungen fokussiert Prof. Dr. Rebecca Maskos (ASH Berlin) Ableism als Exklusionsmechanismus gegenüber behinderten Menschen. Unter dem Titel "Ableism as a fundamental feature of an individualized society” lautet ihre These, dass Ableism mit sozialem Zusammenhalt zu begegnen sei. Ableism ist strukturell und institutionell tief in unserer Gesellschaft verankert und definiert Behinderung als Normbruch des Menschlich-Seins und davon ausgehend alle Formen von Exklusion und Gewalt gegen behinderte Menschen als kulturell und sozial legitim (vgl. Campbell 2001).
Die damit einhergehende Individualisierung von Behinderung, so erläutert Maskos, entspricht gleichzeitig dem Selbstverständnis einer modernen individualisierten Gesellschaft, wonach das Individuum nicht nur alle Risiken des Lebens selbst tragen und lösen solle. Auch Erfolg und Glück ebenso wie ihre Gegenteile (wozu in dieser Logik Behinderung als Ausdruck von verlorener Autonomie gilt) lägen ganz in der Verantwortung des Individuums. Den Ausweg aus diesen individualisierenden und ableistischen Narrativen sieht Maskos in Diskursen und Praktiken des sozialen Zusammenhalts. Sie schließt sich Degener an, indem sie die Umsetzung der UN-BRK als zentrales Werkzeug für sozialen Zusammenhalt versteht. Darüber hinaus identifiziert sie als anti-ableistische Praktiken (für alle Menschen) u.a. den Aufbau von sorgenden Netzwerken, das Teilen von Macht und die Anerkennung eines Angewiesenseins auf andere.
Menschen mit komplexen Behinderungen und ihr Beitrag zum sozialen Zusammenhalt
Auch Prof. Dr. Kathrin Römisch (BODYS/EvH Bochum) betrachtet Inklusion als Mittel zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts und ergänzt die vorherigen Beiträge um eine weitere Perspektive. In ihrem Vortrag "Inclusion of persons with complex disabilities and their contribution to social cohesion" lenkt sie den Blick auf eine Personengruppe, die in besonders hohem Ausmaß Exklusion und Ableism erfährt: Menschen mit komplexen Behinderungen, die über wenige oder gar keine verbalen Kommunikationsmittel verfügen und in hohem Maße auf Unterstützung angewiesen sind. Ausgehend vom menschenrechtlichen Modell von Behinderung, das die Voraussetzungslosigkeit von Menschenrechten betont, zeigt Römisch an zwei Forschungsprojekten von BODYS, dass Partizipation der Schlüssel zur Inklusion ist. Die beiden Projekte erforschen gemeinsam mit Menschen mit komplexen Behinderungen die Themen Wohnwünsche und Bewegung im Alltag.
Römisch argumentiert, dass Inklusion den sozialen Zusammenhalt stärke. Denn sozialer Zusammenhalt basiere auf Vertrauen, Zusammenarbeit und einem gemeinsamen Identitätsgefühl. Inklusion trage dazu bei, diese Verbindungen zu schaffen – sowohl horizontale Verbindungen zwischen Menschen als auch vertikale Verbindungen zwischen Bürger*innen und Institutionen. Wenn Menschen gemeinsam in der Schule lernen oder Seite an Seite am täglichen Leben teilnehmen, werden horizontale Beziehungen gestärkt. Wenn alle gleiche Chancen haben, wächst das Vertrauen in die Gesellschaft. Inklusive Strukturen zeigen, dass Vielfalt geschätzt wird – und das fördert die gegenseitige Akzeptanz und damit sozialen Zusammenhalt.
Bericht: Franziska Witzmann
(Transparenz-Disclaimer: Dieser Bericht wurde von menschlicher Intelligenz erstellt.)

