Gemeinsam für den Abbau von Sonderstrukturen

Wie können Disability Studies und Behindertenbewegung zusammenarbeiten?

Bericht über die Veranstaltung der BODYS-Online-Vortragsreihe am 05.06.2025

Aktuelle politische und gesellschaftliche Entwicklungen lassen behinderte Menschen um den Schutz ihrer Rechte fürchten. Wie können Behindertenbewegung und Disability Studies gemeinsam widerständisch sein und dazu beitragen, dass das Recht auf Selbstbestimmtes Leben für alle behinderten Menschen (Art. 19 UN Behindertenrechtskonvention) endlich umgesetzt wird?

Im Rahmen der BODYS-Vortragsreihe „Dis/Ability der Gegenwart und der Zukunft – Perspektiven der Behindertenbewegung und der Disability Studies“ haben am 5. Juni 2025 H.-Günter Heiden und Kathrin Römisch die Rolle der Disability Studies beim Abbau von Sonderstrukturen für behinderte Menschen (ein anderes Wort dafür ist De-Institutionalisierung) und die Zusammenarbeit mit Aktivist*innen diskutiert. Der Titel der Veranstaltung lautete „Selbstbestimmt leben: Die Rolle der Disability Studies bei Deinstitutionalisierungs-Prozessen“.

Im Hauptvortrag erläuterte der Publizist H.-Günter Heiden aus der Perspektive einer DPO (Disabled People‘s Organisation) das Verhältnis von Behindertenbewegung und Disability Studies. Dabei betonte er die Bedeutung der Unterscheidung von Organisationen für oder von Menschen mit Behinderungen.  Der Abbau von Sonderstrukturen in den Bereichen Wohnen, Arbeiten und Bildung - auch Deinstitutionalisierung (DI) genannt -  ist eine Forderung der Behindertenbewegung von Anfang an, die mit der UN-Behindertenrechtskonvention 2006 als Menschenrechte (u.a. Art. 19, 24, 27 UNBRK) formuliert wurde.  Die Umsetzung dieser Rechte geht auch in Deutschland nur schleppend voran und erlebt derzeit auf politischer Ebene auch Rückschläge. Um die Prozesse zu beschleunigen und vor allem nachhaltiger zu gestalten, müssen Behindertenbewegung und Disability Studies (wieder) enger zusammenarbeiten. Dafür stellte er sein Konzept der „Wissenschaftsbasierten Aktion“ vor. Es umfasst 13 Ideen für gemeinsames Handeln bei DI-Prozessen, um die die parallele Arbeit von Disability Studies und Behindertenbewegung aufzuweichen. Dabei sei allerdings wichtig, weder die Disability Studies zu instrumentalisieren noch die Behindertenbewegung zu akademisieren.

Prof. Dr. Kathrin Römisch (BODYS/EvH Bochum) ergänzte in ihrem Ko-Referat die Gestaltung von DI-Prozessen um die Perspektive und Situation von Menschen mit Komplexen Behinderungen. Einerseits ist das Verhältnis der Bewegung zu diesem Personenkreis als „ambivalent“ einzuordnen, andererseits fände er in Diskursen der Disability Studies häufig keinen Platz. Bei Partizipativer Forschung zum Beispiel sei es üblich, dass Fragen aus der Bewegung heraus generiert würden. Für Menschen mit Komplexen Behinderungen habe das zur Folge, dass sie oftmals ungehört und ihre Lebenssituation unerforscht bliebe. DI-Prozesse bezogen auf diesen Personenkreis müssten gute Unterstützungssysteme fernab von Institutionen ermöglichen, um Reduktion der Lebensqualität bei größtmöglicher Selbstbestimmung zu vermeiden. Mögliche Ziele in der Zusammenarbeit wären laut Römisch die Unterstützung von Selbstvertretungsmöglichkeiten, gemeinsamer Widerstand gegen traditionelle Dienstleistungen und die Entwicklung alternativer Angebote mit hoher Lebensqualität.

Die Vorträge führten zu einer spannenden Diskussion und einem Austausch über weitere Ideen für die Zusammenarbeit von den Disability Studies und Behindertenbewegung. Ein Schwerpunkt lag dabei vor allem auf der Frage, wie gemeinsame Forschung nachhaltig aufgebaut werden könne. Besondere Bedeutung wurde dafür strukturellen Veränderungen zugeordnet. Außerdem sei zu klären, welche Ressourcen und Qualitäten die jeweilige Seite (Disability Studies und Behindertenbewegung) in diese Prozesse einbringen könne.  

Bericht: Amelie Haupt, Gudrun Kellermann, Franziska Witzmann

 

Weiterführende Links:

Video-Mitschnitt der Veranstaltung auf YouTube: https://youtu.be/vy2IAQXSdqo

Tagungs-Dokumentation "15 Jahre UN-Behindertenrechtskonvention - das Recht auf selbstbestimmtes Leben und Wohnen endlich umsetzen!", 10.12.2024: https://www.bodys-wissen.de/termine/15-jahre-unbrk-am-10-12-2024.html

Teilhabe stärken statt einschränken (PDF). Kritische Analyse des BAGüS-Positionspapiers zur BT-Wahl 2025

 

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