Argumente gegen Vorurteile: S:\Communicatie\Website en sociale media\Berichten website\2015\myth buster\ENIL MythBuster cover.png Für ein selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderung European Network on Independent Living Dezember 2014 "Ich habe an verschiedenen Orten gewohnt, habe kurzzeitig die Häuser, Wohnungen und Zimmer von Freunden gemietet und habe dort übernachtet, während ich verzweifelt nach einem Platz für mich suchte. Meine Körperbehinderung wurde dabei immer schlimmer, und die Treppen, die ich dort vorfand, verursachten mir ständige Schmerzen. Schließlich lag ich fast nur noch im Bett, versteckte mich vor den anderen und weinte, weil mich die ganze Situation überforderte." "Jetzt habe ich Unterstützung von Verwandten erhalten, die mich in einem Haus mit anderen unterbrachten. Aber das schränkt meine Möglichkeiten ein, Mietbetreuung zu Hause zu bekommen, weil Mietbetreuungsagenturen aus versicherungsrechtlichen Gründen keine Leute unterstützen, die Mitbewohner haben, welche weder Partner noch Angehörige sind. Deshalb bekomme ich nur noch ambulante psychosoziale Dienstleistungen, was zur Folge hat, dass ich nicht mehr arbeiten kann, sondern körperlich und seelisch krank in meinem Zimmer festsitze." Danksagung ENIL möchte sich bei Ora Kelly für ihre Mitarbeit an dieser Publikation bedanken. Außerdem danken wir jedem, der Ideen für die Behauptungen beigetragen hat und allen denjenigen, die uns ihre Erfahrungen mit dem selbstbestimmten Leben berichtet haben. Schließlich möchten wir Dave Lupton für seine Cartoons danken, mit denen er die unterschiedlichen Behauptungen illustriert hat. Mehr von seinen Werken sehen Sie unter www.daveluptoncartoons.co.uk und www.crippencartoons.co.uk. Wenn Sie auf andere Vorurteile gestoßen sind, die hier nicht enthalten sind, lassen Sie es uns bitte wissen, und wir werden sie gern mit aufnehmen. Vielen Dank. © European Network on Independent Living, Dezember 2014 Cartoons: Dave Lupton, Crippen Cartoons Deutsche Übersetzung: Dr. Tilmann Kleinau Layout: Judit Kovacs, Createch Ltd. Gedruckt in Dublin, Irland Über diese Veröffentlichung Diese Argumente für ein selbstbestimmtes Leben gegen Vorurteile stellen Ihnen die häufigsten Behauptungen über behinderte Menschen, ihr selbstbestimmtes Leben und die persönliche Assistenz vor. Die Behauptungen wurden von unseren Mitarbeitern und Mitgliedern ausgewählt; sie beruhen auf erlebter Erfahrung und unserer langjährigen Zusammenarbeit mit örtlichen, nationalen und europäischen Politikern und anderen Entscheidungsträgern. Das European Network on Independent Living (ENIL), das Europäische Netzwerk für ein selbstbestimmtes Leben, veröffentlicht diese Broschüre, weil es damit mehr Bewusstsein in Sachen selbstbestimmtes Leben und seiner praktischen Umsetzung für alle Menschen mit Behinderung schaffen möchte. Insbesondere möchte ENIL die unterschiedlichen Behauptungen und Vorurteile zum Thema "selbstbestimmt leben" ansprechen, die dazu führen, dass das, was man als selbstbestimmtes Leben bezeichnet, vielerorts immer noch einen heimähnlichen Charakter hat. Wir von ENIL hoffen, dass diese Veröffentlichung zu einem besseren Verständnis des Rechts auf ein selbstbestimmtes Leben in der eigenen Gemeinde beiträgt, das in Artikel 19 der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen verankert ist. Diese Veröffentlichung ist für jedermann gedacht, der/die mehr über ein selbstbestimmtes Leben lernen möchte, wie es Menschen mit Behinderung, die in der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung aktiv sind, verstehen. Über das European Network on Independent Living Das European Network on Independent Living (ENIL) ist ein europaweites Netzwerk von Menschen mit Behinderung. Es ist ein Forum für alle Menschen mit Behinderung, alle Selbstbestimmt-Leben-Organisationen und ihre nichtbehinderten Gleichgesinnten in Sachen selbstbestimmtes Leben. ENIL macht sich politisch stark für die Selbstbestimmt-Leben-Überzeugungen, Prinzipien und Praktiken, insbesondere für ein barrierefreies Wohnen, für Deinstitutionalisierung, für persönliche Assistenz und angemessene technische Hilfen, die in ihrem Zusammenwirken erst die Wahrnehmung aller Bürgerrechte durch Menschen mit Behinderung ermöglichen. ENIL koordiniert die Arbeit der European Coalition for Community Living (ECCL) und ist Mitglied des European Disability Forum und der European Expert Group on the Transition from Institutional to Community-based Care. ENIL hat den Teilnehmerstatus beim Europarat und sitzt im Beirat der Plattform für Grundrechte der EU Fundamental Rights Agency. Behauptung: Ein selbstbestimmtes Leben zu führen, ist dasselbe wie ein selbständiges Leben zu führen. Tatsache: Niemand ist selbständig. Ob wir anerkannt "behindert" sind oder nicht – wir alle brauchen im Leben zu bestimmten Zeiten die Unterstützung anderer. Selbstbestimmung hat nichts zu tun mit der körperlichen oder geistigen Fähigkeit, ohne fremde Hilfe für sich zu sorgen; Selbstbestimmung entsteht dadurch, dass man Assistenz bekommt, wo und wie man sie benötigt."1 1 Brisenden, S. (1989). ‘A Charter for Personal Care’ in Progress, 16, Disablement Income Group. Ein selbstbestimmtes Leben bedeutet, dass alle Menschen mit Behinderung dieselbe Wahlfreiheit, Kontrolle und Freizügigkeit genießen wie jeder andere Staatsbürger – zu Hause, am Arbeitsplatz und als Mitglieder ihrer Gemeinde. Das bedeutet nicht unbedingt, dass Menschen mit Behinderung "alles selbst tun" können, sondern dass jede praktische Hilfe, die sie benötigen, nach ihrem eigenen Wunsch und ihrer eigenen Entscheidung erfolgen sollte. In Wirklichkeit ist keiner von uns ganz selbständig – wir alle benötigen in unserem Leben irgendeine Art von Unterstützung und nehmen sie für uns in Anspruch. Zum Beispiel: Wenn wir eine Entscheidung treffen, können wir sie vorher mit einem Familienmitglied oder einem Freund besprechen. Das kann eine sehr wichtige Entscheidung sein, wie ein Berufswechsel, oder eine eher unbedeutende, etwa, was wir zu Abend essen wollen. Wir können in unterschiedlichen Momenten unseres Lebens Hilfe benötigen, etwa beim Kinderhüten, im Trauer- oder Krankheitsfall oder finanzielle Unterstützung bei Arbeitslosigkeit. Das ist bei Menschen mit Behinderung nicht anders. Seltsamerweise wird aber gerade von ihnen nicht selten erwartet, dass sie ihre Fähigkeit unter Beweis stellen, selbst zurecht zu kommen, bevor man ihnen dasselbe zugesteht, was andere selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen. Behauptung: Ein selbstbestimmtes Leben ist nichts für jedermann. Einrichtungen werden wir immer brauchen. Tatsache: Mit der richtigen Unterstützung kann jeder von uns in seiner Gemeinde leben. In der Geschichte der Menschheit gab es immer wieder Gruppen von Menschen, die für ihre Grundrechte kämpfen mussten – zum Beispiel rassische und ethnische Minderheiten, die Frauenbewegung oder sexuelle Minderheiten. Menschen mit Behinderung kämpfen auch heute immer noch um ihr Recht, nicht ausgesondert und von anderen Bürgern getrennt zu werden, sondern in ihrer Wohngemeinde selbstbestimmt wohnen und leben zu dürfen. Viele von ihnen sehen sich durch die Barrieren in den Köpfen anderer in der Wahrnehmung ihrer Selbstbestimmung behindert. Vorurteile und der medizinische Ansatz, der unter Professionellen, unter Dienstleistern und manchmal sogar in der Behindertenszene selbst immer noch sehr verbreitet ist, schränken ihre Wahlfreiheit und Chancengleichheit oft mehr ein als irgendwelche individuellen Besonderheiten. Dies gilt insbesondere für Menschen mit geistigen Behinderungen oder kompliziertem geistigem oder seelischem Hilfebedarf. Heime werden nicht deshalb gebraucht, weil manche Menschen für das Leben in ihrer Gemeinde "zu behindert" sind. Heime werden deshalb gebraucht, weil unsere Gesellschaft nicht tolerant und nicht bereit genug ist, auch Menschen mit unterschiedlichen und seltenen Behinderungen in einer normalen Wohnumgebung aufzunehmen. Sehr oft wird einfach pauschal von der Annahme ausgegangen, Menschen mit derselben Diagnose müssten dieselben Bedürfnisse haben. Nach dieser "Logik" werden ähnlich behinderte Menschen an einem Ort, zum Beispiel in einem Heim, zusammengruppiert, und es wird behauptet, das sei gesellschaftlich ratsam und wirtschaftlich sinnvoll. Aber das stimmt einfach nicht. Wie nicht behinderte, haben auch behinderte Menschen ganz unterschiedliche Bedürfnisse, Interessen, Begabungen und Vorstellungen bezüglich ihrer Zukunft. Wenn im Zuge der Deinstitutionalisierung ein Heim aufgelöst wird, ist es nicht selten der Fall, dass Menschen ihr Heim nicht verlassen wollen. Dies wird dann als Rechtfertigung genommen, um die Betreffenden weiter dort zu behalten und zu "unterstützen". Aber ähnlich wie Gefangene haben auch Menschen mit Behinderung nach langen Jahren Angst, ihre Anstalt zu verlassen, weil sie nichts anderes als ihr Leben dort gewöhnt sind, nicht weil sie dazu nicht fähig wären. Die Selbstbestimmt- Leben-Bewegung befürwortet die Beratung durch Gleichgesinnte2, wenn jemand ein Heim verlässt, um in der Gemeinde zu leben.. Sogenannte "Peer-Supporter" können Menschen, die in ihre Gemeinde zurückkehren, dabei helfen, Selbstvertrauen zu gewinnen, die richtige Unterstützung zu erhalten und sich ein eigenes soziales Netzwerk vor Ort aufzubauen. 2 Der Ausdruck "Peer Support" beschreibt diejenige Hilfe und Unterstützung, die Menschen aus eigener Erfahrung einem anderen Menschen in ähnlicher Lage gewähren können, zum Beispiel Unterstützung durch Menschen, die auch einmal in einem Heim gelebt haben und ausgezogen sind. Diese Unterstützung kann sozialer, emotionaler oder praktischer Art sein – oder alles zusammen. Behauptung: Ein selbstbestimmtes Leben bedeutet, ohne unterstützende Dienstleistungen auszukommen. Tatsache: Ein selbstbestimmtes Leben ist ohne unterstützende Dienstleistungen nicht möglich. Ein häufiges Fehlurteil in Sachen selbstbestimmtes Leben ist die Ansicht, ein Mensch mit Behinderung müsse in der Lage sein, selbständig zu leben und für sich selbst zu sorgen, ohne fremde Unterstützung. Aus diesem Grund werden Menschen mit höherem Unterstützungsbedarf häufig als "zu behindert" angesehen, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Dabei meint ein selbstbestimmtes Leben etwas ganz anderes, nämlich dass die Unterstützung, die jemand erhält, sich nach seinen eigenen Entscheidungen, Bedürfnissen und seinem Lebensstil orientieren sollte. Menschen mit Behinderung sollten ihr Leben nicht den jeweils vor Ort vorhandenen Hilfeangeboten anpassen müssen – im Gegenteil, die angebotenen Dienstleistungen sollten so flexibel sein, sich nach den Bedürfnissen ihrer Kunden zu richten. In heimähnlichen Institutionen beschränkt sich Unterstützung für gewöhnlich auf die Grundbedürfnisse, wie persönliche Pflege, Ernährung und Haushaltshilfe, und wenn überhaupt, wird nur ein geringer Zeitanteil auf Rehabilitation und Freizeit verwandt. Die Einweisung in eine heimähnliche Institution wird oft mit der Notwendigkeit begründet, Geld zu sparen; eine möglichst große Zahl an Bewohnern wird von möglichst wenigen Pflegekräften versorgt. Im Gegensatz dazu sollten Selbstbestimmt-Leben-Arrangements alle Lebensbereiche des behinderten Menschen mit einbeziehen. Dazu gehören Berufstätigkeit, Bildung und Teilhabe an Veranstaltungen in der örtlichen Gemeinde. Die Unterstützung zum selbstbestimmten Leben beschränkt sich nicht auf die Grundbedürfnisse des behinderten Menschen, sondern umfasst auch die Hilfe zum Zugang zu hochwertigen Informationen, zu Beratung und Rechtsbeistand, wie Behindertenverbände sie leisten. So praktiziert, ist Unterstützung nicht etwas, was für jemanden geleistet wird, sondern zusammen mit ihm. In Selbstbestimmt-Leben-Arrangements ist es wichtig, dass die geleistete Unterstützung von dem behinderten Menschen selbst erbeten und beaufsichtigt wird und nicht von Dienstleistungserbringern diktiert wird. Dies bedeutet in der Praxis, dass die behinderte Person in der Lage sein sollte zu entscheiden, wer ihr persönlicher Assistent ist und welche Hilfe sie wo und wann benötigt. Eine Qualitätskontrolle ist insbesondere bei Menschen mit hohem Hilfebedarf notwendig, um sicher zu stellen, dass sie die erbrachten Dienstleister beaufsichtigen und nicht umgekehrt – wenn es sein muss, durch einen Rechtsanwalt. Eng verbunden mit oben erwähntem Vorurteil ist der Gedanke, dass Deinstitutionalisierung bedeuten würde, die Einrichtungen zu schließen, ohne für angemessenen Ersatz in der Gemeinde des Betroffenen zu sorgen. Man kann, wie gesagt, nicht erwarten, dass Menschen mit Behinderung ohne fremde Hilfe zurechtkommen. In den Ländern, in denen die Deinstitutionalisierung nicht richtig geplant wurde, wurden viele behinderte Menschen obdachlos und waren letzten Endes schlimmer dran als in der Einrichtung, weil sie weniger oder gar keine Unterstützung mehr bekamen. Deshalb sollte Deinstitutionalisierung nur so verstanden werden, dass parallel zur Schließung von Einrichtungen angemessene übliche und spezielle Dienstleistungen aufgebaut werden, die Menschen ein selbsbestimmtes Leben in ihrer Gemeinde ermöglichen. Behauptung: Menschen mit Behinderung sind isoliert und einsam, wenn sie ein selbstbestimmtes Leben führen wollen. Ein selbstbestimmtes Leben bedeutet, dass man von seiner Familie wegziehen und allein leben muss. Tatsache: Ein selbstbestimmtes Leben bedeutet nicht, dass man allein leben muss, aber es setzt voraus, dass man die Wahl hat zu entscheiden, wo und bei wem man leben möchte. Befürworter von institutioneller Pflege führen gern das Argument an, behinderte Menschen würden Gefahr laufen, einsam und isoliert zu leben, wenn sie selbstbestimmt in ihrer Gemeinde leben wollen. Da heißt es, sie seien doch besser im Heim aufgehoben, denn da hätten sie ja "Freunde" (gemeint sind andere Menschen mit Behinderung). Diese Ansicht ist bevormundend und obendrein falsch. In der Tat sind vielmehr Heime oft gleichbedeutend mit Isolation und Ausgrenzung, und zwar aus mehreren Gründen, die wir im Folgenden darlegen. Heimbewohner werden normalerweise von einer Gruppe professioneller Experten ausgewählt. Sie werden in demselben Haus oder Gebäudetrakt untergebracht, weil sie eine ähnliche Behinderung oder einen ähnlichen Schweregrad der Behinderung haben, nicht weil sie persönlich es so wünschen. Außerdem liegen derartige Einrichtungen nicht selten weit entfernt von ihren Freunden und Angehörigen, womit man in Kauf nimmt, dass sie mit den Jahren ihr natürlich gewachsenes soziales Netz verlieren. Manche Menschen kommen schon als Babys oder Kleinkinder in Einrichtungen, hatten also niemals die Chance, Beziehungen zu Familienmitgliedern oder Verwandten zu erleben und aufzubauen. Aber es gibt noch andere Faktoren, die erklären, warum heimähnliche Einrichtungen so oft zur Abschottung und Isolation der Bewohner führen. So ist es Menschen in heimähnlichen Institutionen oft nicht erlaubt, Tag für Tag selbst zu entscheiden, was sie tun wollen. Der Tag wird für sie gestaltet, und sie werden überbehütet. Statt dass man sie dabei unterstützt, die normalen Dienstleistungen in ihrer Gemeinde in Anspruch zu nehmen, kommen Dienstleister wie Ärzte, Zahnärzte oder Friseure sogar zu ihnen ins Haus. Im Heim lebende Menschen mit Behinderung stoßen nicht selten auf Hindernisse, wenn sie irgendwohin wollen, weil man ihnen nicht beigebracht hat, öffentliche Verkehrsmittel selbständig zu nutzen. Stattdessen fährt man sie in "Spezialbussen", die dem Heim gehören, hin und holt sie dort wieder ab. Ein behinderter Mensch, der selbstbestimmt und mit geeigneten Hilfeangeboten in seiner Gemeinde lebt, kann hingegen Angebote wie Schwimmbad, Bus und Bad, medizinische Leistungen, Bildungsangebote usw. nutzen – natürlich nur, wenn sie behinderten Personen auch zugänglich sind. Im Gegensatz dazu sollten Selbstbestimmt-Leben-Arrangements das Netzwerk des behinderten Menschen mit einbeziehen. So kann jeder Mensch frei wählen, wo und mit wem er leben möchte – sei es daheim bei der Familie, in einer Wohn- oder Hausgemeinschaft mit Freunden oder allein in der eigenen Wohnung. Wenn sich jemand dafür entscheidet, bei seiner Familie zu wohnen, bedeutet das nicht, dass die gesamte Pflege von den anderen Familienmitgliedern erbracht werden muss. Während es die Pflege in heimähnlichen Institutionen nur im Paket mit Wohnen gibt, bietet das selbstbestimmte Leben den Vorteil, Pflege und Wohnen trennen zu können. Wenn Kinder in richtigen Familien aufwachsen dürfen, können sie eher starke und dauerhafte Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen und haben dann auch mit größerer Wahrscheinlichkeit als Erwachsene gute Unterstützungsnetzwerke und sind besser in ihrer Umgebung integriert. Anstatt behinderte Menschen in die Isolation zu treiben, geht es beim selbstbestimmten Leben vielmehr darum, ihnen dieselbe Wahlfreiheit zu ermöglichen wie den Nichtbehinderten. Dies bedeutet, den Aufbau und die Entwicklung von Beziehungen zwischen der behinderten Person und ihren Angehörigen zu fördern. Wenn behinderte Menschen individualisierte Unterstützung erhalten, bekommen sie damit nicht nur mehr Wahlfreiheit und Kontrolle über ihr Leben, sondern mehr Teilhabe und Mitwirkungsmöglichkeiten in ihrer örtlichen Gemeinde. Behauptung: Ein selbstbestimmtes Leben ist mit zu vielen Risiken verbunden; Menschen mit Behinderung sind daher in Einrichtungen besser aufgehoben. Selbstbestimmte Lebensformen wie das persönliche Budget sind für Menschen mit Behinderung zu riskant und können zu Betrug, Vernachlässigung oder Missbrauch führen. Tatsache: Einrichtungen sind ein viel riskanterer Wohnort als die eigene Gemeinde. Früher wurden behinderte Menschen als von Natur aus abhängig und "hilflos" angesehen, nicht als Individuen mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Wünschen wie jeder andere Bürger. Das bedeutete, dass traditionelle Dienstleistungsmodelle wie Gruppen-Heime und Wohnen mit Pflege oft von Hause aus eine Unfähigkeit und/oder Gefahren voraussetzen und dadurch wahre Abhängigkeit erst schaffen, bzw. verlängern. Solche traditionellen Dienstleistungsmodelle sind oft zu stark reglementiert und professionalisiert; es wird erwartet, dass die behinderten Menschen zu den Dienstleistungen passen, anstatt dafür zu sorgen, dass die Dienstleistungen auf individuelle Bedürfnisse und Wünsche eingehen. Untersuchungen jedoch belegen, dass Einrichtungen ein viel riskanterer Wohnort sind als die eigene Gemeinde. Dort lauern zahlreiche, mit der institutionellen Pflege einhergehende Risiken auf die Bewohner, wie Vernachlässigung, körperlicher und sexueller Missbrauch, erzwungene Medikation und Behandlung, erzwungene Schmerzen usw. Die Gründe dafür sind vielfältig – zu wenig Personal, Überbelegung, Entscheidungen des Personals ohne Wissen und Mitwirkung der Bewohner, mangelnde Transparenz in Sachen Finanzierung und die trostlose Einsamkeit im Heim "auf der grünen Wiese". Selbstbestimmte Lebensformen wie das persönliche Budget hingegen geben den Leistungsnehmern die Möglichkeit, über Art und Umfang ihrer Unterstützung selbst zu entscheiden. Hier sind die Prozesse transparenter, und die ganze Finanzierung ist individuell ausgelegt. Die Finanzierung richtet sich nach den individuellen Bedürfnissen und Vorstellungen und ist nicht an eine Gruppe von Bewohnern oder, noch schlimmer, an ein bestimmtes Gebäude gebunden. Obwohl man das längst allgemein erkannt und europaweit und international akzeptiert hat, kommt es immer noch vor, dass behinderte Menschen gegen ihren Willen dazu gezwungen werden, in bestimmte heimähnliche Institutionen zu ziehen. Dies ist möglich, weil es bei ihnen am Ort zu wenige oder gar keine angemessenen Angebote zum selbstbestimmten Leben gibt und weil die vorhandenen Geldmittel zur Finanzierung bereits bestehender Heime dienen. Die Selbstbestimmt-Leben-Bewegung ist absolut dagegen, dass Menschen mit Behinderung aus ihren natürlichen Lebenszusammenhängen wie Freundschaften und Familien herausgerissen werden und in eine heimähnliche Institution ziehen müssen, nur weil es vor Ort nicht genügend individuell gestaltete Alternativen gibt. Sie fördert im Gegenteil die Entwicklung und praktische Umsetzung kreativer Dienstleistungs- und Unterstützungsmodelle, die es Menschen mit Behinderung ermöglichen, am normalen Leben ihrer Gemeinde teilzunehmen, selbst Familien zu gründen und, falls sie es wünschen, wirtschaftlich aktiv zu sein und finanziell auf eigenen Beinen zu stehen. Behauptung: Ein selbstbestimmtes Leben erreicht man auch durch den Bau von Wohngruppen und Tagespflegeeinrichtungen für behinderte Menschen. Tatsache: Menschen mit Behinderung werden oft in Wohngruppen und Tagespflegeeinrichtungen gesteckt, weil andere Unterstützungsformen und Dienstleistungen nicht vorhanden sind. Wenn es keine besseren Alternativen gibt, können Wohngruppen und Tagespflegeeinrichtungen für behinderte Menschen für deren Familien eine wichtige Hilfe sein, aber sie bedeuten, dass Pflegebedürftige ihre Tage fast ausschließlich mit anderen behinderten Menschen verbringen müssen, dass es ihnen an grundlegenden Freiheiten fehlt und sie Dinge tun müssen (wie Malen, Töpfern oder Gartenarbeit), ob sie sie mögen oder nicht. Wohngruppen und Tagespflegeeinrichtungen können aus folgenden Gründen leicht die institutionelle Pflege ersetzen: strenge Routine, Bürokratie und Bevormundung von Seiten des Personals, zu große Bewohnerzahl, Mangel an individuellen Dienstleistungen, keine Selbstbestimmung der Bewohner, Mangel an Freiheit und Entscheidungsmöglichkeiten, Mangel an sinnvollen Tätigkeiten, zu viel Medikation, usw. Darüber hinaus verlängern Wohngruppen und Tagespflegeeinrichtungen die "Wir und die anderen"-Mentalität und bestätigen die Ansicht, behinderte Menschen sollten besser vom Rest der Gemeinschaft abgeschottet werden. Durch das ständige Zusammenleben mit anderen behinderten Menschen in einer Gruppe und das tägliche Arbeiten in dieser Gruppe wird der Eindruck am Leben erhalten, behinderte Menschen seien eben doch "anders" und zum Leben unter "Normalen" nicht in der Lage. Daher lässt sich ein selbstbestimmtes Leben in heimähnlichen Institutionen wie Wohngruppen nicht erreichen. Ein wichtiges Prinzip bei der Umsetzung von Dienstleistungen für behinderte Menschen ist, Wohnen und Pflege nach Möglichkeit zu trennen. Wenn jemand die Wohnung wechseln möchte, sollte dies möglich sein, ohne dass der Betroffene deshalb seine Pflege und Unterstützung verliert. Sagen wir es einfach: Behinderte Menschen sollten dieselben Wohnmöglichkeiten haben wie andere Bürger; dazu gehören Mietwohnungen, Sozialwohnungen, Privathäuser, Eigentumswohnungen, Wohngemeinschaften usw. Sie sollten bei Bedarf auch Zugang zu persönlichen und individuell flexiblen Dienstleistungen wie persönlicher Assistenz haben. Diese unterstützenden Leistungen sollten nicht nur die Grundbedürfnisse wie persönliche Hygiene und Ernährung berücksichtigen, sondern behinderten Menschen auch echte Chancen eröffnen, am Leben in Familie und Gemeinde teilzunehmen, etwa eine Hochschule zu besuchen, sich um eine Stelle zu bewerben, an Aktivitäten ihrer Gemeinde teilzunehmen, usw. Behauptung: Ein selbstbestimmtes Leben für jedermann wäre zu teuer. Tatsache: Selbstbestimmt zu leben ist ein Grundrecht, das man niemandem aus Gründen der Sparsamkeit vorenthalten darf. Oft wird argumentiert, ein Leben in der Gemeinde sei gewiss besser als in einer heimähnlichen Institution, man könne es aber nicht jedem bezahlen, der es braucht. Diese Argumentation ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Erstens ist selbstbestimmt zu leben ein Grundrecht, das man niemandem aus Gründen der Sparsamkeit vorenthalten darf. Zweitens entbehrt die Behauptung, ein selbstbestimmtes Leben sei immer teurer als ein Leben in einer heimähnlichen Institution, jeder Analyse und jeden Beweises. Bedauerlicherweise schafft die Finanzierungsstruktur medizinischer und sozialer Leistungen den lokalen Behörden Anreize, heimähnliche Institutionen den ambulanten Wohnformen vorzuziehen. Diejenigen Kostenträger, die Optionen zum selbstbestimmten Leben einrichten, legen in der Regel eine Obergrenze fest, wie viel Unterstützung eine Person erhalten soll. Die Heimkosten hingegen werden für die ganze Gruppe kalkuliert; daher ist es im Allgemeinen schwer zu sagen, wie das vorhandene Geld verteilt und was damit genau bezahlt wird. Für ein selbstbestimmtes Leben ist wichtig, dass die Mittel in Form individualisierter Budgets nach individuellem Bedarf verteilt werden, sodass der Mensch mit Behinderung sein Budget nutzen kann, um sich seine Hilfen selbst einzukaufen. Aus den genannten und vielen anderen Gründen haben sich direkte Kostenvergleiche zwischen institutioneller Pflege und ambulantem, selbstbestimmtem Leben als sehr schwierig erwiesen. Für ein selbstbestimmtes Leben bedarf es radikaler Änderungen, was die Erbringung und Finanzierung der Dienstleistungen angeht; mit einer bloßen Ergänzung der vorhandenen Dienste und Strukturen ist es nicht getan. Leider werden Ausgaben für ein selbstbestimmtes Leben nur selten als soziale und wirtschaftliche Investition verstanden. Anstatt behinderte Menschen dabei zu unterstützen, dass sie einen aktiven eigenen Beitrag zum Leben in der Gemeinschaft leisten können, werden die Mittel in heimähnlichen Institutionen nur allzu oft dazu genutzt, Abhängigkeiten zu schaffen und die Betroffenen in Abhängigkeit zu halten. Das Ergebnis sind unnötig hohe Sozialausgaben, sowie verlorene Einnahmen, die man von Menschen mit Behinderung bekommen hätte, wenn man sie in die Lage versetzt hätte, selbst zu arbeiten und ihre persönlichen Assistenten selbst zu beschäftigen. Weil selbstbestimmtes Leben zu Unrecht als sehr teuer gilt, ist die gängige Meinung, es würde sowieso nur in reichen, entwickelten Ländern funktionieren. Auch in Entwicklungsländern werden beachtliche staatliche Mittel dafür aufgewandt, Einrichtungen für behinderte Menschen aufrecht zu erhalten. Dieselben Mittel sollte man besser den Selbstbestimmt-Leben-Diensten geben; dann wäre das selbstbestimmte Leben eine wirkliche Alternative zu Pflegeheimen. Behauptung: Selbstbestimmte Lebensformen wie persönliche Assistenz sind für behinderte Kinder nicht geeignet. Tatsache: Die Erfahrung zeigt, dass Kinder und Jugendliche sowie ihre Familien aus persönlicher Assistenz großen Nutzen ziehen. Dienstleistungen zum selbstbestimmten Leben, wie persönliche Assistenz, werden oft nur für Erwachsene angeboten. Das bedeutet, dass die einzige Förderung, die behinderten Kindern und ihren Familien angeboten wird, in abgeschotteten Bereichen wie Sonderschulen, Sonderkindergärten, Tagespflegezentren, Kurheimen usw. stattfindet. Dies gilt insbesondere für Kinder mit schweren geistigen Behinderungen oder komplexem Pflegebedarf. Mangelnde Förderung zu Hause in der Familie oder in normalen Schulen kann sehr belastend sein und dazu führen, dass ein Kind unnötigerweise aus der Familie herausgenommen und von nichtbehinderten Gleichaltrigen getrennt wird. So kommt es dazu, dass man fälschlicherweise meint, Sonderschulen und Sondereinrichtungen seien nach wie vor unbedingt nötig. Ein selbstbestimmtes Leben ist aber nicht nur Erwachsenen möglich. Es umfasst alle Lebenserfahrungen – von den frühen Jahren und der Jugendzeit über die Zeit als Erwachsener und die Berufsjahre bis ins hohe Alter. Je früher ein Mensch Unterstützung zum selbstbestimmten Leben erhält und die Chance hat, in der eigenen Familie und zusammen mit gleichaltrigen Freunden aufzuwachsen, umso wahrscheinlicher ist es, dass er als Erwachsener selbstbewusst und aktiv ist. Eine frühe Institutionalisierung hingegen führt oft zu zusätzlichen erworbenen Behinderungen und zu einem Leben in den Mauern von Einrichtungen. Natürlich kann und soll persönliche Assistenz die Fürsorge der eigenen Eltern oder Pfleger nicht ersetzen. Sie soll sie vielmehr bei Bedarf ergänzen, sodass die Eltern oder Pfleger des Kindes arbeiten gehen können, Zeit mit ihren anderen Kindern verbringen oder sich auch mal erholen können. Persönliche Assistenz ist auch wichtig, um dafür zu sorgen, dass behinderte Kinder eine Regelschule besuchen können. Wenn Menschen mit Behinderung schon in jungen Jahren ein selbstbestimmtes Leben führen dürfen, haben sie ähnlich gute Chancen, sich zu entfalten und ihr persönliches Netzwerk aufzubauen, wie ihre nichtbehinderten Freunde. Ein Grund, warum persönliche Assistenz angeblich nicht für Kinder geeignet ist, ist der, dass sie ihre Assistenten noch nicht selbst einstellen und verwalten können. Es gibt aber Erfahrungen aus Ländern, in denen Kinder persönliche Assistenz erhalten, die zeigen, dass ihre Eltern oder Pfleger (mit Unterstützung der Zentren für selbstbestimmtes Leben oder ähnlicher Organisationen) durchaus dafür sorgen können, dass die persönlichen Assistenten die Unterstützung gewähren können, die ihr Kind braucht. Behauptung: Es ist nicht möglich, die Qualität von unterstützenden Dienstleistungen zum selbstbestimmten Leben zu messen und zu kontrollieren. Tatsache: Weil das selbstbestimmte Leben Menschen erlaubt, sich ihre Art der Unterstützung selbst auszusuchen, ist es erheblich wahrscheinlicher, dass die gewählte Unterstützung ihren Bedürfnissen besser gerecht wird. Die Qualität der erbrachten Dienstleistungen zu bestimmen, ist unglaublich subjektiv; das kann derjenige am besten beurteilen, an dem die Dienstleistungen erbracht werden. Es ist im Falle von Dienstleistungen zum selbstbestimmten Leben leichter möglich, weil die behinderten Leistungsempfänger hier viel mehr Wahlfreiheit und Kontrollmöglichkeiten haben, wie ihre Unterstützung aussehen sollte. Wählbare Dienstleistungen zum selbstbestimmten Leben erlauben behinderten Menschen, ihre Assistenten selbst einzustellen und anzulernen und sie nötigenfalls auch selbst zu entlassen. Mit Hilfe von sogenannten direkten Zahlungen oder persönlichen Budgets können behinderte Menschen selbst entscheiden, welche Unterstützung sie benötigen und die für sie passenden Hilfen auswählen. Deshalb ist es für sie viel einfacher, eine Qualitätskontrolle vorzunehmen als in größeren Settings. Behindertenorganisationen wie die Zentren für selbstbestimmtes Leben können die behinderten Menschen bei diesem Verfahren unterstützen, indem sie sie beraten, wie man persönliche Assistenten einstellt, wie man sein eigenes persönliches Budget verwaltet, wie man sich die richtige Unterstützung holt, usw. Einrichtungen sind stets darauf aus, praktisch nachvollziehbare, messbare Daten über die Qualität der erbrachten Leistungen zu erbringen – etwa, wie sauber das Gebäude gehalten wird oder ob man sich auch um die medizinischen Bedürfnisse der Patienten ausreichend kümmert. Diese Daten werden zwecks Rechtfertigung und Überprüfung der Dienstleistungsverträge mit Behörden oder Geldgebern erhoben, die Meinung der Bewohner spielt dabei überhaupt keine Rolle. Der wichtigste Qualitätsbeweis jedoch beim selbstbestimmten Leben ist die Frage, ob die erbrachten Dienstleistungen dem Betreffenden ermöglichen, so zu leben, wie er es wünscht und seine Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung auszuschöpfen. Glossar Selbstbestimmtes Leben ist die Tag für Tag gelebte Verwirklichung einer Behindertenpolitik, die auf den Grundrechten des Menschen beruht. Ein selbstbestimmtes Leben wird erst möglich durch die Kombination verschiedener Umgebungs- und persönlicher Faktoren, die es Menschen mit Behinderung erlauben, über ihr eigenes Leben selbst zu bestimmen. Dazu gehören Wahl- und Entscheidungsfreiheit, wenn es darum geht, wo, wie und bei wem sie leben wollen. Die hierzu notwendigen Dienstleistungen müssen allen zugänglich sein und auf der Grundlage von Chancengleichheit erfolgen, sodass behinderte Menschen an unserem Alltag flexibel teilnehmen können. Ein selbstbestimmtes Leben setzt voraus, dass Gebäude und Verkehrsmittel barrierefrei zugänglich sind und dass technische Hilfsmittel und persönliche Assistenz und/oder kommunale Dienstleistungen bei Bedarf verfügbar sind. Es ist notwendig, darauf hinzuweisen, dass ein selbstbestimmtes Leben°für alle°behinderten Personen gedacht ist, egal wie groß ihr Hilfebedarf ist. Persönliche Assistenz ist ein Instrument, das ein selbstbestimmtes Leben erst ermöglicht. Persönliche Assistenz kaufen sich Menschen mit Behinderung mit Hilfe eines dafür vorgesehenen Budgets, das sie zu dem Zweck erhalten haben, sich die Assistenz einzukaufen, die sie brauchen. Persönliche Assistenz sollte auf der Grundlage einer individuellen Bedarfserhebung geleistet werden und an der persönlichen Lebenssituation des Bedürftigen ausgerichtet sein. Die für persönliche Behinderten-Assistenz zugewiesenen Mittel müssen sich an den aktuell geltenden Tarifen des jeweiligen Landes orientieren. Als Menschen mit Behinderung müssen wir das Recht haben, unsere Assistenten selbst einzustellen, einzuarbeiten und zu verwalten, wenn wir wollen, mit angemessener Beratung; wir selbst sollten das Recht haben, das für unsere Bedürfnisse passendste Beschäftigungsmodell zu wählen. Die uns für persönliche Assistenz zugewiesenen Mittel müssen die üblichen Tariflöhne persönlicher Assistenten und alle sonstigen Leistungen abdecken, wie Arbeitgeber- Sozialversicherungsbeiträge, Verwaltungskosten und Beratung durch Gleichgestellte (Peers) für den Assistenznehmer. Deinstitutionalisierung ist ein politischer und gesellschaftlicher Prozess, eine Verlagerung von einer heimähnlichen Institution oder anderen isolierenden und ausgrenzenden Lebensformen hin zur selbstbestimmten Lebensform. Eine effektive Deinstitutionalisierung ist dann gegeben, wenn eine in einer Einrichtung untergebrachte Person die Chance erhält, Bürger/in mit allen Rechten zu werden und sein/ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen (wenn nötig, mit Beratung). Wesentliche Voraussetzungen für eine gelungene Deinstitutionalisierung sind eine bezahlbare und barrierefreie Wohnung in der eigenen Gemeinde und der barrierefreie Zugang zu öffentlichen Diensten, persönlicher Assistenz und Beratung durch Peers. Deinstitutionalisierung bedeutet aber auch, Institutionalisierung in Zukunft zu vermeiden und dafür zu sorgen, dass behinderte Kinder in ihren Familien zusammen mit Nachbarn und Freunden aus ihrer Gemeinde aufwachsen können, anstatt in Heimen abgeschottet zu leben. Eine Einrichtung ist jeder Ort, in dem Menschen, die als behindert bezeichnet werden, isoliert, ausgegrenzt und/oder zum Zusammenleben gezwungen werden. Eine Einrichtung ist außerdem jeder Ort, in dem Menschen über ihr Leben und ihre täglichen Entscheidungen nicht selbst bestimmen können oder dürfen. Eine Einrichtung wird nicht allein durch ihre Größe definiert. Institutionelle Pflege meint die "Unterstützung", die die Heimbewohner von Personal der Einrichtung erhalten. Eine heimähnliche Institution ist eine Fachausdruck von Dienstleistern; er bezeichnet eine speziell für Menschen mit Behinderung geschaffene Wohnumgebung (wie Wohngruppen, betreutes Wohnen3, geschützte Heime und Zentren), in der die Menschen nach Art oder Schwere ihrer Behinderung zusammen untergebracht werden. Solche Wohnmodelle existieren für Kinder und Erwachsene; sie können kleiner (z.B. für 6 Bewohner) oder größer (z.B. für 30 Bewohner) sein. Es handelt sich um ein Dienstleistungsmodell, das den benötigten Hilfebedarf mit einer bestimmten Art zu wohnen verbindet und dadurch die Wahlfreiheit der Bewohner, wo und mit wem zusammen sie wohnen wollen, einschränkt. Heimähnliche Einrichtungen sind, auch wenn sie mitten in der Stadt oder in einer Vorstadt liegen, oft nach dem Motto "ein Modell passt für alle" gestaltet und können genauso isolierend wirken wie ein traditionelles Heim alten Stils. Die Ausdrücke "heimähnliche Institution" und "institutionelle Pflege" werden von Aktivisten der Selbstbestimmt- Leben-Bewegung oft synonym benutzt. 3 Gemeint sind mehrere Wohnungen in einem Gebäude, die in erster Linie behinderten Menschen angeboten werden und in denen Pflegeleistungen auf Gruppen-Basis erbracht werden. "Ich finde, die Art zu wohnen hat sehr viel damit zu tun, wie behindert ich mich fühle. In einer passenden Umgebung mit ein paar Wochenstunden Pflege kann ich gesund leben, arbeiten, als Freiwilliger, Aktivist und engagierter Bürger aktiv in der Gemeinschaft mitwirken und gut leben. Ohne passende Wohnumgebung und Pflege fühle ich mich wie gefangen. Ich vermisse es, täglich geduscht zu werden und habe das Gefühl, nicht mehr zurecht zu kommen und keine Zukunftsperspektiven mehr zu haben. Das wird noch verstärkt dadurch, dass ich nicht die Möglichkeit habe, jemanden bei mir übernachten zu lassen, wenn ich mich krank fühle." "Ich war glücklich, als ich dieses Jahr eine Wohnung bekam. Das bedeutet, dass mein persönlicher Assistent mir bei den nötigen Handreichungen hilft und ich selbst entscheiden darf, wann ich wohin gehe, was ich essen möchte – und ich sehe jetzt im Gegensatz zu früher, wohin mein Geld fließt. Ich bin gerne bei mir im Ort unter Menschen unterwegs und gehe jeden Monat in den Behindertenverein. Deshalb kann ich mit Fug und Recht behaupten, dass das selbstbestimmte Leben das Richtige für mich ist. " jaune Wenden Sie sich an uns European Network on Independent Living Ground Floor, Chase House City Junction Business Park Northern Cross, Malahide Road Dublin 17, Ireland Telefon: +3531 525 0700 E-mail: secretariat@enil.eu Website: www.enil.eu Gefördert von der Europäischen Kommission und ULOBA im Rahmen des Projekts “Proud, Strong and Visible – Promoting the Choice, Control and Participation of Disabled People in Europe”. Die in dieser Veröffentlichung enthaltenen Informationen geben nicht unbedingt die Haltung oder Meinung der Europäischen Kommission wieder.